Der Pfarrverband Hengersberg lud zusammen mit dem Reservistenverein Schwanenkirchen, in Kooperation mit der KEB, zu einem Vortrag des ehemaligen Archivars der Diözese Passau, Dr. Herbert Wurster, ein. Der Pfarrsaal in Schwanenkirchen war mit mehr als 70 Personen gut gefüllt.
Vorneweg ging der Referent auf die allgemeine Lage kurz vor Ende des zweiten Weltkriegs ein. Er betonte, dass die ‚Attentäter‘ um Graf Stauffenberg versuchten, den schon verlorenen Krieg zu beenden, um das unendliche, sinnlose Blutvergießen zu stoppen. Nach ihrem Scheitern herrschte Chaos bis zum Ende. Ca. 40 Prozent aller deutschen Soldaten sind erst nach dem 20. Juli 1944 gefallen — der Mut der Männer um Stauffenberg wollte auch dies verhindern!
In unserer Heimat waren glücklicherweise fast 140 Jahre keine Kampfhandlungen. Die jeweiligen Kriege tobten weit weg, obwohl auch unsere Region viele gefallene Soldaten beweinen musste. Erst in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, im April 1945, erreichte er auch unsere Gegend.
Das Bistum Passau hatte nach dem Ende des Krieges seine Pfarrer aufgefordert, als Zeitzeugen einen Bericht über das lokale Geschehen im Dritten Reich sowie beim Kriegsende abzufassen. Fast alle Berichte sind erhalten und werden im Archiv der Diözese Passau verwahrt. Auf diesen beruhte der weitere Vortrag des Referenten.
Am 24. April 1945 stießen die amerikanischen Truppen im Bayerischen Wald auf das Gebiet der Diözese Passau vor. Wo sich Verteidigung zeigte, griffen die Amerikaner mit Macht an… die entscheidenden Schäden in vielen Orten jedoch waren nicht von den Kämpfen verursacht worden, sondern vielmehr die Folge des sog. Nero-Befehls von Hitler, der die Zerstörung aller wichtigen Einrichtungen befahl. Infolgedessen wurden viele Brücken gesprengt, oft unter Zerstörung der Häuser der Umgebung.
Dr. Wurster betonte, wie grausam und menschenverachtend das NS-System in der letzten Phase des ‚totalen Krieges‘ handelte — ohne Rücksicht auf Soldaten, aber v. a. auch auf die Zivilbevölkerung.
Am 3. Juni 1945 verfasste der damalige Schwanenkirchener Pfarrer Sebastian Aigner einen lebendigen und detailreichen Bericht. Aus diesem zitierte Dr. Wurster:,Ortschaft u. Pfarrei Schwanenkirchen sind glücklich ohne Schaden aus den letzten Kriegsereignissen hervorgegangen. Wir haben wirklich allen Grund, dem Herrgott dankbar zu sein, denn unser Ort war in so ganz besonders großer Gefahr.‘
Weiter führt Pfarrer Aigner dann aus, wie knapp der Ort einer Katastrophe entging. Am Abend des 24. April, als die Amerikaner schon in greifbarer Nähe waren, brachten zwei dazu bestellte Bauern mit ihren Bulldogs Sprengladungen weg, die vorher im Pfarrhof standen. ‚Am Mittwoch (25. April) früh … kam ein Tiefflieger, … hätte er noch Wagen im Hofe stehen sehen, würde er ohne Zweifel geschossen haben u. würde Schwanenkirchen vollständig erledigt sein.‘
Zur Übergabe des Dorfes teilt Pfarrer Aigner mit: Für Samstag, 28. April war die Räumung des Dorfes vorgesehen. , Die SS … hatte gedroht, im Falle einer Übergabe Hengersberg u. Schwanenkirchen zu beschießen. Es war eine düstere schwere Stimmung u. alles rüstete für den Abzug.‘ Nachdem jedoch Hengersberg ‚glücklich übergeben‘ war, ‚kamen dann die Panzerwagen u. die Übergabe vollzog sich schnell u. ohne Hindernisse. Alles atmete auf.‘
Weiter berichtet der Pfarrer noch vom Tod der zehnjährigen Gertraud Adler, deren Mutter sich mit weiteren Familienangehörigen in ein Wäldchen bei Mimming geflüchtet hatte. Hauptlehrer Adler war der Ortsgruppenleiter von Hengersberg. Offenbar weil sie sich versteckende SS-Männer vermuteten, gaben die Panzerfahrer Schüsse ab und töteten dabei das Mädchen.
Ein weiteres tragisches Schicksal ist das der einheimischen, ehemaligen Lehrerin Amalie Nothhaft. Die hiesigen Funktionäre waren schlecht auf sie zu sprechen, weil sie sich für die Landbevölkerung einsetzte und diese wort- und schriftgewandt im Umgang mit Behörden und Dienststellen der Partei unterstützte. Außerdem lehnte Nothhaft den Nationalsozialismus ab. Ende November wurde sie wegen ‚Rundfunkverbrechens‘ in Deggendorf inhaftiert. In den letzten Kriegstagen entließ der zuständige Oberstaatsanwalt eine Reihe politischer Gefangener und weigerte sich mutig, Wachpersonal für die angeordnete Erschießung von Frau Nothhaft abzustellen. Die Gefangene wurde darauf zur Kreisleitung gebracht und eingesperrt. Als sich die NSDAP aus Deggendorf absetzte, ‚wurde die 60-jährige Lehrerin unter nicht genau geklärten Umständen auf der (Donau-)Brücke erschossen und ihre Leiche ins Wasser geworfen.‘
Soweit der Bericht des Pfarrers Sebastian Aigner in Auszügen. Im November 1944 wurde dieser übrigens, laut Dr. Wurster, wegen eines Vergehens gegen das Heimtückegesetz mit einer Geldbuße bestraft. Er scheint kein Freund der Nazis gewesen zu sein…
Der Bericht der Pfarrei Frohnstetten dagegen ist lapidar. ‚In der Nacht vom 27. auf 28. April lag das Pfarrdorf Unterfrohnstetten unter Artilleriestreufeuer. Alle Granaten schlugen aber glücklicherweise im Freien ein, sodaß, abgesehen von einigen zertrümmerten Fensterscheiben im Pfarrhof und in der Sakristei, kein Schaden an kirchlichen oder sonstigen Gebäuden entstand. Sonstige Kampfhandlungen fanden nicht statt.‘
Auch der Bericht des Pfarrers der Pfarrei Schwarzach-Hengersberg (Pfarrkirche war damals in Schwarzach, nicht auf dem Rohrberg) geht nochmal auf den tragischen Tod des kleinen Mädchens Gertraud Adler ein. Außerdem vermeldet er, dass durch die Sprengung der Ohebrücke in Schwarzach durch die Nazis ‚großer Schaden am Pfarrhofe, in den Ökonomiegebäuden u. der Pfarrkirche‘ entstanden sei. Auch mehrere umliegenden Privathäuser und Ställe, sogar einige Fenster der Rohrberkirche erlitten bedeutende Schäden.
Der Geistliche berichtet weiter, dass der Kindergarten sowie die Mädchenschule wieder den Klosterfrauen des Ordens der Englischen Fräulein übertragen wurde.
Auch die anderen bekannten Zeitzeugen erzählen davon, dass Hengersberg soweit verschont wurde. Allerdings wurden nach Kriegsende der Bürgermeister, der Ortsgruppenleiter und der Volkssturmführer unter nicht geklärten Umständen getötet.
Auf den Mut des Bürgers Alfons Beer ging der Referent noch besonders ein. Dieser hisste in Hengersberg die weiße Fahne auf dem Turm der Frauenbergkirche. Er wurde von SS-Leuten verhaftet und in Thundorf von einem Sondergericht zum Tode durch Erschießen verurteilt. Der Aufforderung, sich das Grab selbst zu schaufeln, kam er nicht nach. Er verlangte, vor der Erschießung dem Kommandanten vorgeführt zu werden. Offenbar wurde er daraufhin der Gendarmerie zur weiteren Behandlung übergeben und überlebte.
Nachdem der Referent noch kurz auf weitere Geschehnisse in der Region einging, u. a. auf den berüchtigten, erschütternden Nammeringer KZ-Transport, fasste er zusammen:
Ihre geschützte Lage bewahrte unsere Region weitgehend vor Kampfhandlungen. Dagegen blieb unsere Region leider nicht vor sinnlosen Zerstörungs- und Racheaktionen des NS-Regimes verschont.
Heute schaut die Enkelgeneration größtenteils objektiv auf unsere Vergangenheit. Dennoch leidet jeder darunter, dessen Familiengeschichte dunkle Flecken aufweist.
Dr. Wurster konstatiert als Kirchenhistoriker gern, dass die katholische Kirche gegen das NS-Regime Widerstand geleistet hat. Die Quellen beweisen, dass die Kirche durch ihr caritatives Wirken, als Staat und Kommunen weitgehend ausfielen, vielen das Überleben gesichert hat. Die Kirche habe ihre Sorge für das Leben der Menschen durch ihre Taten eindrücklichst bewiesen. Sie bezog für die Schwachen Position, selbst für umkehrwillige Nazis, was ihr später angekreidet wurde. Das Wichtigste sei aber die Sorge für die Flüchtlinge ab 1945 gewesen, denen ein neuer Anfang ermöglicht wurde.
Für den informativen und auch bewegenden Vortrag bedankte sich der Bildungsbeauftragte der Pfarrei Schwanenkirchen, Fritz Schosser, mit einem Geschenk bei Dr. Wurster. Einige Zuhörer meldeten sich mit Fragen und Zeitzeugenberichten von Familienangehörigen zu Wort.
Christine Kremheller, Bildungsbeauftragte der Pfarrei Hengersberg
Fotos: Christine Kremheller, Maria Hötzinger