Das Ende des 2. Weltkriegs in der Region um die Pfarrei Schwanenkirchen

Hengersberg Pfarrverband am 18.11.2024

Hr Dr Wurster bei seinem Vortrag Foto Christine Kremheller
Hr Dr Wurster bei seinem Vortrag Foto Christine Kremheller

Der Pfarr­ver­band Hen­gers­berg lud zusam­men mit dem Reser­vis­ten­ver­ein Schwa­nen­kir­chen, in Koope­ra­ti­on mit der KEB, zu einem Vor­trag des ehe­ma­li­gen Archi­vars der Diö­ze­se Pas­sau, Dr. Her­bert Wurs­ter, ein. Der Pfarr­saal in Schwa­nen­kir­chen war mit mehr als 70 Per­so­nen gut gefüllt.

Vor­ne­weg ging der Refe­rent auf die all­ge­mei­ne Lage kurz vor Ende des zwei­ten Welt­kriegs ein. Er beton­te, dass die Atten­tä­ter‘ um Graf Stauf­fen­berg ver­such­ten, den schon ver­lo­re­nen Krieg zu been­den, um das unend­li­che, sinn­lo­se Blut­ver­gie­ßen zu stop­pen. Nach ihrem Schei­tern herrsch­te Cha­os bis zum Ende. Ca. 40 Pro­zent aller deut­schen Sol­da­ten sind erst nach dem 20. Juli 1944 gefal­len — der Mut der Män­ner um Stauf­fen­berg woll­te auch dies verhindern! 

In unse­rer Hei­mat waren glück­li­cher­wei­se fast 140 Jah­re kei­ne Kampf­hand­lun­gen. Die jewei­li­gen Krie­ge tob­ten weit weg, obwohl auch unse­re Regi­on vie­le gefal­le­ne Sol­da­ten bewei­nen muss­te. Erst in den letz­ten Tagen des zwei­ten Welt­krie­ges, im April 1945, erreich­te er auch unse­re Gegend. 

Das Bis­tum Pas­sau hat­te nach dem Ende des Krie­ges sei­ne Pfar­rer auf­ge­for­dert, als Zeit­zeu­gen einen Bericht über das loka­le Gesche­hen im Drit­ten Reich sowie beim Kriegs­en­de abzu­fas­sen. Fast alle Berich­te sind erhal­ten und wer­den im Archiv der Diö­ze­se Pas­sau ver­wahrt. Auf die­sen beruh­te der wei­te­re Vor­trag des Referenten.

Am 24. April 1945 stie­ßen die ame­ri­ka­ni­schen Trup­pen im Baye­ri­schen Wald auf das Gebiet der Diö­ze­se Pas­sau vor. Wo sich Ver­tei­di­gung zeig­te, grif­fen die Ame­ri­ka­ner mit Macht an… die ent­schei­den­den Schä­den in vie­len Orten jedoch waren nicht von den Kämp­fen ver­ur­sacht wor­den, son­dern viel­mehr die Fol­ge des sog. Nero-Befehls von Hit­ler, der die Zer­stö­rung aller wich­ti­gen Ein­rich­tun­gen befahl. Infol­ge­des­sen wur­den vie­le Brü­cken gesprengt, oft unter Zer­stö­rung der Häu­ser der Umgebung.

Dr. Wurs­ter beton­te, wie grau­sam und men­schen­ver­ach­tend das NS-Sys­tem in der letz­ten Pha­se des tota­len Krie­ges‘ han­del­te — ohne Rück­sicht auf Sol­da­ten, aber v. a. auch auf die Zivilbevölkerung.

Am 3. Juni 1945 ver­fass­te der dama­li­ge Schwa­nen­kir­che­ner Pfar­rer Sebas­ti­an Aigner einen leben­di­gen und detail­rei­chen Bericht. Aus die­sem zitier­te Dr. Wurster:,Ortschaft u. Pfar­rei Schwa­nen­kir­chen sind glück­lich ohne Scha­den aus den letz­ten Kriegs­er­eig­nis­sen her­vor­ge­gan­gen. Wir haben wirk­lich allen Grund, dem Herr­gott dank­bar zu sein, denn unser Ort war in so ganz beson­ders gro­ßer Gefahr.‘

Wei­ter führt Pfar­rer Aigner dann aus, wie knapp der Ort einer Kata­stro­phe ent­ging. Am Abend des 24. April, als die Ame­ri­ka­ner schon in greif­ba­rer Nähe waren, brach­ten zwei dazu bestell­te Bau­ern mit ihren Bull­dogs Spreng­la­dun­gen weg, die vor­her im Pfarr­hof stan­den. Am Mitt­woch (25. April) früh … kam ein Tief­flie­ger, … hät­te er noch Wagen im Hofe ste­hen sehen, wür­de er ohne Zwei­fel geschos­sen haben u. wür­de Schwa­nen­kir­chen voll­stän­dig erle­digt sein.‘

Zur Über­ga­be des Dor­fes teilt Pfar­rer Aigner mit: Für Sams­tag, 28. April war die Räu­mung des Dor­fes vor­ge­se­hen. , Die SS … hat­te gedroht, im Fal­le einer Über­ga­be Hen­gers­berg u. Schwa­nen­kir­chen zu beschie­ßen. Es war eine düs­te­re schwe­re Stim­mung u. alles rüs­te­te für den Abzug.‘ Nach­dem jedoch Hen­gers­berg glück­lich über­ge­ben‘ war, kamen dann die Pan­zer­wa­gen u. die Über­ga­be voll­zog sich schnell u. ohne Hin­der­nis­se. Alles atme­te auf.‘

Wei­ter berich­tet der Pfar­rer noch vom Tod der zehn­jäh­ri­gen Ger­traud Adler, deren Mut­ter sich mit wei­te­ren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen in ein Wäld­chen bei Mim­ming geflüch­tet hat­te. Haupt­leh­rer Adler war der Orts­grup­pen­lei­ter von Hen­gers­berg. Offen­bar weil sie sich ver­ste­cken­de SS-Män­ner ver­mu­te­ten, gaben die Pan­zer­fah­rer Schüs­se ab und töte­ten dabei das Mädchen.

Ein wei­te­res tra­gi­sches Schick­sal ist das der ein­hei­mi­schen, ehe­ma­li­gen Leh­re­rin Ama­lie Not­h­haft. Die hie­si­gen Funk­tio­nä­re waren schlecht auf sie zu spre­chen, weil sie sich für die Land­be­völ­ke­rung ein­setz­te und die­se wort- und schrift­ge­wandt im Umgang mit Behör­den und Dienst­stel­len der Par­tei unter­stütz­te. Außer­dem lehn­te Not­h­haft den Natio­nal­so­zia­lis­mus ab. Ende Novem­ber wur­de sie wegen Rund­funk­ver­bre­chens‘ in Deg­gen­dorf inhaf­tiert. In den letz­ten Kriegs­ta­gen ent­ließ der zustän­di­ge Ober­staats­an­walt eine Rei­he poli­ti­scher Gefan­ge­ner und wei­ger­te sich mutig, Wach­per­so­nal für die ange­ord­ne­te Erschie­ßung von Frau Not­h­haft abzu­stel­len. Die Gefan­ge­ne wur­de dar­auf zur Kreis­lei­tung gebracht und ein­ge­sperrt. Als sich die NSDAP aus Deg­gen­dorf absetz­te, wur­de die 60-jäh­ri­ge Leh­re­rin unter nicht genau geklär­ten Umstän­den auf der (Donau-)Brücke erschos­sen und ihre Lei­che ins Was­ser geworfen.‘

Soweit der Bericht des Pfar­rers Sebas­ti­an Aigner in Aus­zü­gen. Im Novem­ber 1944 wur­de die­ser übri­gens, laut Dr. Wurs­ter, wegen eines Ver­ge­hens gegen das Heim­tü­cke­ge­setz mit einer Geld­bu­ße bestraft. Er scheint kein Freund der Nazis gewe­sen zu sein…

Der Bericht der Pfar­rei Frohn­stet­ten dage­gen ist lapi­dar. In der Nacht vom 27. auf 28. April lag das Pfarr­dorf Unter­frohn­stet­ten unter Artil­le­rie­streu­feu­er. Alle Gra­na­ten schlu­gen aber glück­li­cher­wei­se im Frei­en ein, sodaß, abge­se­hen von eini­gen zer­trüm­mer­ten Fens­ter­schei­ben im Pfarr­hof und in der Sakris­tei, kein Scha­den an kirch­li­chen oder sons­ti­gen Gebäu­den ent­stand. Sons­ti­ge Kampf­hand­lun­gen fan­den nicht statt.‘

Auch der Bericht des Pfar­rers der Pfar­rei Schwarz­ach-Hen­gers­berg (Pfarr­kir­che war damals in Schwarz­ach, nicht auf dem Rohr­berg) geht noch­mal auf den tra­gi­schen Tod des klei­nen Mäd­chens Ger­traud Adler ein. Außer­dem ver­mel­det er, dass durch die Spren­gung der Ohe­brü­cke in Schwarz­ach durch die Nazis gro­ßer Scha­den am Pfarr­ho­fe, in den Öko­no­mie­ge­bäu­den u. der Pfarr­kir­che‘ ent­stan­den sei. Auch meh­re­re umlie­gen­den Pri­vat­häu­ser und Stäl­le, sogar eini­ge Fens­ter der Rohr­ber­kir­che erlit­ten bedeu­ten­de Schäden.

Der Geist­li­che berich­tet wei­ter, dass der Kin­der­gar­ten sowie die Mäd­chen­schu­le wie­der den Klos­ter­frau­en des Ordens der Eng­li­schen Fräu­lein über­tra­gen wurde.

Auch die ande­ren bekann­ten Zeit­zeu­gen erzäh­len davon, dass Hen­gers­berg soweit ver­schont wur­de. Aller­dings wur­den nach Kriegs­en­de der Bür­ger­meis­ter, der Orts­grup­pen­lei­ter und der Volks­sturm­füh­rer unter nicht geklär­ten Umstän­den getötet.

Auf den Mut des Bür­gers Alfons Beer ging der Refe­rent noch beson­ders ein. Die­ser hiss­te in Hen­gers­berg die wei­ße Fah­ne auf dem Turm der Frau­en­berg­kir­che. Er wur­de von SS-Leu­ten ver­haf­tet und in Thun­dorf von einem Son­der­ge­richt zum Tode durch Erschie­ßen ver­ur­teilt. Der Auf­for­de­rung, sich das Grab selbst zu schau­feln, kam er nicht nach. Er ver­lang­te, vor der Erschie­ßung dem Kom­man­dan­ten vor­ge­führt zu wer­den. Offen­bar wur­de er dar­auf­hin der Gen­dar­me­rie zur wei­te­ren Behand­lung über­ge­ben und überlebte.

Nach­dem der Refe­rent noch kurz auf wei­te­re Gescheh­nis­se in der Regi­on ein­ging, u. a. auf den berüch­tig­ten, erschüt­tern­den Nam­me­rin­ger KZ-Trans­port, fass­te er zusammen: 

Ihre geschütz­te Lage bewahr­te unse­re Regi­on weit­ge­hend vor Kampf­hand­lun­gen. Dage­gen blieb unse­re Regi­on lei­der nicht vor sinn­lo­sen Zer­stö­rungs- und Rache­ak­tio­nen des NS-Regimes verschont.

Heu­te schaut die Enkel­ge­nera­ti­on größ­ten­teils objek­tiv auf unse­re Ver­gan­gen­heit. Den­noch lei­det jeder dar­un­ter, des­sen Fami­li­en­ge­schich­te dunk­le Fle­cken aufweist.

Dr. Wurs­ter kon­sta­tiert als Kir­chen­his­to­ri­ker gern, dass die katho­li­sche Kir­che gegen das NS-Regime Wider­stand geleis­tet hat. Die Quel­len bewei­sen, dass die Kir­che durch ihr cari­ta­ti­ves Wir­ken, als Staat und Kom­mu­nen weit­ge­hend aus­fie­len, vie­len das Über­le­ben gesi­chert hat. Die Kir­che habe ihre Sor­ge für das Leben der Men­schen durch ihre Taten ein­drück­lichst bewie­sen. Sie bezog für die Schwa­chen Posi­ti­on, selbst für umkehr­wil­li­ge Nazis, was ihr spä­ter ange­krei­det wur­de. Das Wich­tigs­te sei aber die Sor­ge für die Flücht­lin­ge ab 1945 gewe­sen, denen ein neu­er Anfang ermög­licht wurde.

Für den infor­ma­ti­ven und auch bewe­gen­den Vor­trag bedank­te sich der Bil­dungs­be­auf­trag­te der Pfar­rei Schwa­nen­kir­chen, Fritz Schos­ser, mit einem Geschenk bei Dr. Wurs­ter. Eini­ge Zuhö­rer mel­de­ten sich mit Fra­gen und Zeit­zeu­gen­be­rich­ten von Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen zu Wort.

Chris­ti­ne Krem­hel­ler, Bil­dungs­be­auf­trag­te der Pfar­rei Hengersberg

Fotos: Chris­ti­ne Krem­hel­ler, Maria Hötzinger

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