Liebe Schwestern und Brüder!
Die momentane Situation, in der sich die Welt und mit ihr die Kirche befindet, stellt für unser religiöses und geistliches Leben eine immense Herausforderung dar. Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, wurden daher alle öffentlichen Gottesdienste bis auf weiteres ausgesetzt.
Viele fragen sich vielleicht, wie in einer solchen Situation religiöses Leben und geistliche Praxis aufrechterhalten werden können. Vor allem dann, wenn, wie es momentan der Fall ist, die Eucharistiefeier, Mitte und Höhepunkt christlichen Lebens, öffentlich nicht stattfinden kann.
Die Kirche empfiehlt in diesem Fall die sogenannte „geistige“ oder „geistliche Kommunion“. Sie sei eben genau dann von den Gläubigen zu vollziehen, wenn sie aus einem gerechten Grund oder eben in Notzeiten an der Teilnahme an der Eucharistiefeier und dem Kommunionempfang gehindert sind. Gemäß der gängigen Definitionen „geistlicher Kommunion“ soll dabei der Gläubige eine innere Sehnsucht nach der Vereinigung mit Jesus Christus erwecken und versuchen sich zumindest im Geiste oder im Herzen mit ihm zu vereinen. So soll zumindest geistig vorweggenommen oder vorläufig „ersetzt“ werden, was in vollkommener Fülle durch den Empfang der eucharistischen Gaben zu vollziehen, aktuell nicht möglich ist.
So oder ähnlich könnte man die klassischen theologischen Aussagen zu diesem Thema in aller Kürze zusammenfassen.
Und wenn Sie sich nun fragen, was das überhaupt heißt und was man jetzt machen soll, ist das mehr als verständlich.
Um diese Fragen zu beantworten, ist es zunächst hilfreich, sich einmal wieder bewusst zu machen, was „Kommunion“ überhaupt ist. Hierzu möchte ich Ihnen vorschlagen, ein Bild zu gebrauchen – nämlich das Bild des Kreuzes.
Wie das Kreuz einen senkrechten und einen waagrechten Balken hat, so hat auch das, was bei der Kommunion geschieht, gewissermaßen eine vertikale und eine horizontale Dimension.
Aus der vertikalen Perspektive, d.h. von „oben nach unten“ betrachtet, verbindet mich die Kommunion direkt mit Gott! Ich empfange Jesus Christus, der in den Gaben von Brot und Wein WIRKLICH GEGENWÄRTIG ist. Jesus schenkt sich mir ganz! Mit Fleisch und Blut, oder, wie es bei uns sprichwörtlich heißt, „mit Haut und Haar“. Es bedeutet: Jesus, ja Gott selbst schenkt mir SEIN LEBEN. Gott kommt mir näher, als ich es mir jemals wirklich vorstellen kann. Er will EINS WERDEN mit mir, weil Er mich liebt.
Für mich, d.h. von „unten nach oben betrachtet“, bedeutet das, dass mich die Kommunion VERWANDELN kann und soll. Ganz so wie die Gaben von Brot und Wein durch die Wandlung in der Eucharistiefeier in Leib und Blut Christi verwandelt und dadurch etwas ganz Neues werden, obwohl sie noch genau so aussehen, sich anfühlen und schmecken wie vor der Wandlung, so soll auch ich selbst durch die Kommunion immer wieder ganz neu werden, obwohl ich auch nach dem Empfang der Kommunion höchstwahrscheinlich genau so aussehe und die oder derselbe bin, wie vorher. Nur, und das ist unser Glaube, bin ich es auf andere Weise. Ich habe nämlich Gott erlaubt, in mir zu wohnen, mit mir zu sein, Sein Leben mit dem meinigen zu verbinden. In der Kommunion lasse ich mich darauf ein, dass nicht so sehr ich selbst etwas mache, mich selbst neu erfinde, an mir selbst „arbeite“, sondern, dass eben Gott etwas mit mir machen darf, dass Er, als Schöpfer, mich, sein Geschöpf, immer wieder, in jeder Kommunion, heilen und erneuern, ja, in gewisser Weise NEU ERSCHAFFEN kann. Dies wird genau dann MÖGLICH und WIRKLICH, wenn ich diesem, meinem Gott, der an die Türen meines Herzens klopft, aufmache und ihn einlasse.
Wie zu Beginn bereits angedeutet, passiert genau das auf unüberbietbare (!) Weise in der Heiligen Kommunion. Daher kann man sie auch durch nichts eigentlich ersetzen!
Aber wie kann ich mich dann mit Gott vereinigen, wenn ich daran gehindert bin, die Kommunion zu empfangen? Wie kann mich Gott heilen und erneuern? Wie kann ich ihm dazu die Türen meines Herzens aufmachen?
Ich möchte Ihnen hierzu einige Vorschläge und Anregungen anbieten.
Als Christen glauben wir, dass Gott in seinem WORT gegenwärtig ist. Jesus Christus ist sogar selbst dieses Wort, das Wort durch das Gott alles erschaffen hat, alles erhält und alles neu erschafft, wie wir es gleich zu Beginn des Johannesevangeliums erfahren.
Für uns bedeutet das, dass wir uns mit Christus, mit Gott, vereinigen können, indem wir unsere Herzen SEINEM WORT öffnen.
Das geschieht, in dem wir Gott und seinem Wort in unserem alltäglichen Leben Raum geben. Das geht ganz einfach! Suchen sie sich einen geeigneten Ort und eine geeignete Zeit. Vielleicht entzünden sie eine Kerze, verweilen vor dem Kreuz, vor einer Ikone, in der freien Natur…
Vielleicht haben Sie eine Lieblings-Bibelstelle. Oder Sie gönnen es sich, beispielsweise die aktuellen Lesungen der Messfeiern oder der Stundenliturgie zu betrachten. Wenn Sie möchten, können Sie den Text mehrmals lesen. Vielleicht fällt Ihnen dabei ein Wort oder ein Satz besonders auf und werden auf besondere Weise davon berührt. Was verbinden Sie mit diesem Wort? Woran oder an wen denken Sie, wenn Sie es lesen? Welche Gedanken und Gefühle sind da?
Wenn Sie diese Gedanken und Gefühle wahrnehmen, bringen Sie sie im Gebet vor Gott. Und zwar alle! Die guten wie die schlechten, die wichtigen und die weniger wichtigen — aber auch Ihre Fragen, Ihre Zweifel, Ihre (An-)klage(n) sowie Ihre Hoffnungen und Bitten, die Sie an Gott richten wollen.
Und vielleicht passiert es, dass es irgendwann, am Ende aller Worte, ruhig und still wird in Ihrem Herzen. Lassen Sie diese Stille dann zu. Vielleicht blicken Sie auf das Kreuz oder das Bild vor Ihnen, vielleicht in den Himmel. Und vielleicht spüren Sie, dass nicht Sie es sind, der oder die etwas betrachten, sondern, dass Gott es ist, der Sie mit Seinem liebenden Blick anschaut. Überlassen Sie sich ganz dieser, Seiner Liebe!
Oft kommt es aber auch vor, dass mir so gar nichts einfällt, was ich Gott sagen möchte, ich verstehe vielleicht die Bibelstelle nicht so wirklich, oder sie sagt mir nichts, oder…
Aber irgendwie verspüre ich doch die Sehnsucht mit Gott in Kontakt zu kommen und zu bleiben.
Die Tradition der Ostkirche hat diese nicht auszudrückende, nicht in Worten fassbare Sehnsucht in das sogenannte „Herzensgebet“ fließen lassen.
Es besteht ganz einfach darin, beim Einatmen „Herr Jesus Christus“ oder schlicht „Kyrie“, und beim Ausatmen „erbarme Dich meiner“ oder schlicht „eleison“ zu beten. Versuchen Sie auf keinen Fall dabei etwas künstlich zu erzeugen oder Ihren Atem zu beeinflussen! Legen Sie das Gebet in Ihren (!) Atem hinein! Beten Sie die Anrufungen sooft, so lange oder so kurz, wie Sie möchten. Vielleicht kommen Ihnen auch dabei wieder verschiedene Gedanken oder Personen (s.o.) in den Sinn. Halten Sie diese und sich selbst vor Gott hin, ebenso wie bei der Betrachtung der Schrift. Und vielleicht kommen Sie auch dabei an das Ende der Worte und vielleicht spüren Sie, wie Gott bei Ihnen ist, in Ihnen ist. Weil Er derjenige ist, der allem Leben Atem gibt, weil Er derjenige ist, der mich aufatmen lassen kann, wenn mir „die Luft ausgeht“, weil Er, auf meinen Atem, meinen Herzschlag achtet und hört, wenn ich mit meinen Worten und Gedanken, mit meinem Fühlen, ja sogar mit meinem Seufzen am Ende bin. Genau dann ist Gott, dessen Name bedeutet „Ich bin da“. WIRKLICH da. Nicht mehr ich atme, sondern Er atmet mit Seinem Atem, mit SEINEM GEIST in mir!
Kommen wir zum Abschluss auf unser Bild des Kreuzes zurück. Was nun die horizontale Perspektive der Kommunion betrifft, besteht diese darin, dass die Kommunion alle, die Sie empfangen zu dem einen Leib Christi vereinigt. Wir nehmen dies besonders dann war, wenn wir als Gemeinde zusammenkommen und eben MITEINANDER Eucharistie feiern. Darin kommt zum Ausdruck, dass es keinen Weg zu Gott am Mitmenschen vorbei geben kann!
In der jetzigen Situation, in der keine gemeinsamen Gottesdienste stattfinden können, erfahren wir besonders schmerzlich das Fehlen unserer Gemeinschaft.
Umso mehr dürfen wir uns aber in Erinnerung rufen, dass wir allem zum Trotz LEIB CHRISTI sind! Und das nicht nur innerhalb unserer Gemeinde oder innerhalb des Pfarrverbandes oder der Diözese sondern als Kirche insgesamt. Das ist es, was das Wort katholisch eigentlich meint. Kirche ist damit mehr, als nur ein „Verein“ oder eine „Institution“ oder eine „Organisation“: als Leib Christi ist Kirche ein ORGANISMUS. Eine lebendige Einheit.
Auch, wenn es hier und da nicht nur zwickt oder kränkelt, sondern allzu oft richtig krankt.
Was das für die geistliche Kommunion nun bedeutet, ist bereits mehrfach angeklungen. Oft passiert es ja, dass wir beim Gebet, wie oben bereits beschrieben wurde, plötzlich an andere Menschen denken. An diejenigen, die uns am Herzen, aber vielleicht auch an diejenigen, die uns im Magen liegen. Wenn wir nun diese Gedanken nicht als Ablenkung vom Gebet gewaltsam abtun, sondern vielmehr sie als „Einladung“ zum Gebet für diese Menschen erkennen, sie nicht aus unserem Inneren Heiligtum hinausjagen, sondern in Gedanken sie an die Hand nehmen und uns mit ihnen vor Gott stellen, dann, so glaube ich, können wir nicht nur unabgelenkt beten – die Ablenkung ist ja nun keine mehr – sondern auf gute Weise geistlich verwirklichen, was es eben heißt, Leib Christi zu sein.
Wie jedes aufrichtige Beten so kann und darf die geistliche Kommunion nicht zu einem religiösen „um sich selbst kreisen“ verkommen. Was ich im Gebet erfahre, was ich in der Kommunion, ob „nur“ geistig oder im tatsächlichen Empfang der eucharistischen Gaben, empfange, soll Wirklichkeit werden in meinem alltäglichen Leben und für die Menschen um mich herum. Deshalb lassen Sie sich bitte von Gott inspirieren, der sich uns selbst ganz schenkt, in seinem Wort, durch seinen Geist und in Christus selbst. Wer sich von Gott beschenken lässt und wer Gott durch das Geschenk seiner selbst selbst zum Geschenk wird, muss dies unweigerlich auch für andere werden.
Schenken Sie sich einander selbst! Schenken Sie einander Zeit, ein offenes Ohr, ein offenes Herz und Gemeinschaft, leisten sie sich gegenseitig tatkräftige Hilfe so gut es in dieser Situation geht und den praktischen und gesundheitlichen Anforderungen aller gerecht wird.
Ich möchte für diese Ausführungen keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Aber ich hoffe, dass ich Ihnen vielleicht den einen oder anderen nützlichen Gedanken für ihr persönliches Beten mitgeben konnte. Natürlich bin für Rückfragen gerne für Sie erreichbar. Bleiben wir gemeinsam auf dem Weg! Seien wir gewiss, dass Gott uns gerade in schweren Zeiten trägt und bei uns ist! VEREINEN wir uns mit IHM und MITEINANDER immer wieder im Gebet!
Es grüßt Sie herzlich
Ihr P. Ambrosius Obermeier OSB (Pfarrvikar)